Corona-Querfront formiert sich

Seit ein paar Wochen organisieren sich Gruppen, die gegen die aktuellen Corona-Verordnungen protestieren. Auch in Westmecklenburg gibt es dazu seit zwei Wochen gehäuft derartige, zum Teil unangemeldete Kundgebungen und Demonstrationen.

Querfront-Strategie geht auf

Seit kurzem organisieren sich Gruppen vor allem in Telegram-Channels wie „Querdenker 2020“, „Corona Rebellen MV“ oder „Corona Rebellen Nord“ uvm. , um dort ihren Protest zu den aktuellen Corona-Verordnungen zu koordinieren und sich inhaltlich auszutauschen. Die Spanne der sozialen und politischen Spektren aus denen die Mitglieder kommen ist groß – neben Personen und Unternehmer, die bislang in Verbindungen mit rechten Tendenzen nicht aufgefallen sind und aufgrund der aktuellen Pandemielage wirtschaftlichen Schaden erleben müssen, reihen sich selbstverständlich zwischen skurrile Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner bis hin zu gefestigten Neonazis ein. Eine klare Abgrenzung in rechte Ideologien, Personen oder Parteien gibt es nicht. Ganz im Gegenteil, das gemeinsame Ziel verbindet: „Wir akzeptieren und respektieren alle Meinungen…wichtig ist nur das wir nicht auseinander driften“, so wird es in den Gruppen propagiert. Da ist es dann auch selbstverständlich, dass Felicitas K. alias „Feli“ die Gründerin und eine der Hauptorganisatorin der in Wismar agierenden Gruppe „Querdenker 2020“ gemeinsam mit dem Reichsbürger „Ralf“ über Strategien diskutiert und über ihn schreibt: „Wir haben in unseren Reihen Leute wie Ralf und ich denke das ist gut so!“. Die klassische Querfront-Strategie scheint aufzugehen. Erschreckend schnell mit einer hohen Dynamik fanden diese Gruppen innerhalb kurzer Zeit großen Zulauf aus allen gesellschaftlichen Schichten.

Zumindest in Westmecklenburg hält sich die AfD aktuell noch zurück mit einer gemeinsamen Beteiligung an den Corona-Querfront-Protesten. Am vergangenen Montag veranstalteten sie zwei eigenen Kundgebungen in Schwerin mit Petra Federau als Versammlungsleiterin, in denen es thematisch vorwiegend um die AfD als Kümmererpartei und das Wettern gegen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in Verbindung mit den verhängten Corona-Verordnungen ging.

Lokale Hotspots in Wismar und Schwerin

Bislang beschränken sich die lokalen Hotspots in Westmecklenburg auf die Städte Schwerin und Wismar, in denen bereits erste zum Teil unangemeldete Kundgebungen und Demonstrationen stattfanden. Das Interesse war groß und es nahmen an allen Veranstaltungen jeweils knapp 100 bis mehrere Hundert Personen teil.
Die bislang größte Veranstaltung war eine Kundgebung am vergangenen 01. Mai 2020 in Schwerin am Pfaffenteich. Obwohl diese nur für 50 registrierte Teilnehmer genehmigt wurde, fanden sich bis zu 600 Anhänger am Kundgebungsplatz ein – unter ihnen AFD-Mitglieder, Nazi-Hooligans, NPD- und MVgida-Anhänger, Verschwörungstheoretiker, aber auch wieder die sogenannte bürgerliche Mitte. Landesweit vorwiegend über Telegram mobilisiert fanden eine Woche später, am 09. Mai, in mehreren Städten Kundgebungen statt. In Schwerin nahmen dazu rund 200 Personen an der Kundgebung am Alten Garten teil. Der Kundgebungsplatz war dieses Mal abgesperrt und alle genehmigten 200 Teilnehmer mussten sich registrieren. Als diese Anzahl erreicht war, versammelten sich die ca. 100 übrigen Interessenten einfach entlang der Absperrung, um den Redebeiträgen zu lauschen. Organisiert wurde diese Kundgebung u.a. vom „Impfkritischen Stammtisch“.

In Wismar ist maßgeblich die Gruppe „Querdenker2020“ für die Protestaktionen gegen die aktuellen Corona-Verordnungen verantwortlich. Um eine offizielle Anmeldung zu umgehen, mobilisieren sie ebenfalls zum vergangenen Samstag zum gemeinsamen „Spazieren gehen“. Nach ihren Aussagen, könne ihnen das niemand verbieten. Bis zu 85 Personen machten sich geschlossen auf den Weg vom Alten Hafen zum Markt in Wismar. Die unangemeldete Demonstration wurde nicht von der Polizei begleitet, sie sondierten lediglich am Treffpunkt die Lage und fuhren dann wieder davon. „Feli“ und ein weiterer Admin, der mit einer Jacke der Neonazi-Marke „Ansgar Aryan“ bekleidet war, gaben an dem Tag den Ton an und koordinierten die Versammlung durch die Innenstadt. Einen derartigen „Spaziergang“ plant die Gruppe für weitere kommende Samstage.

Fake Facts: Impfzwang

Obwohl ein Teil der Mitglieder der Corona-Querfront-Gruppen nicht eindeutig rechten Strukturen zugeordnet werden können und es sich dabei meist um unzufriedene Bürger handelt, werden die inhaltlichen Schwerpunkte und Diskussionen innerhalb der Gruppierungen von rechten Akteuren, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern bestimmt. Die Themenfelder sind da sehr vielfältig, aber zumeist beruhen die Diskussionen auf Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Nationalismus.
Vor allem um das Thema Impfzwang, für einen aktuell noch nicht vorhandenen Impfstoff gegen COVID-19, dreht sich eine Reihe an Theorien und Diskussionen. Nach Aussagen der Corona-Querfront-Anhänger, sei die ganze Corona-Pandemie reine Panikmache, mit dem Ziel die Bevölkerung zu manipulieren und gefügig zu machen. COVID-19 soll demnach nicht gefährlicher als eine normale Grippe sein. Ganz vorne bei der Verbreitung dieser These ist „Feli“ von „Querdenker 2020“: „Ich denke es handelt sich hier um einen gezielt und auch bewusst harmlosen eingesetzten Biokampfstoff der für 99.63% auch ungefährlich ist.“
Angeblich wollen die Regierenden mit den geschürten Unsicherheiten und Ängste durch die verhängten Verordnungen im Zuge des Infektionsschutzgesetzes zum Einen Gesetze zur Überwachung, Kontrolle und Finanzierung ohne viel Widerstand aus der Bevölkerung umsetzen und zum Anderen einen Impfzwang einführen. Das ruft die Impfgegner auf die Spielfläche, die schon seit Jahren innerhalb sämtlicher gesellschaftlicher Konstellationen vertreten sind – vor allem auch im rechten Spektrum. Bei der Kundgebung in Schwerin berichteten mehrere Rednerinnen mit pseudo-wissenschaftlichen Ausführungen über die Herstellung und die Gefährlichkeit der Impfstoffe. Die Gerüchte, was einen Impfstoff so gefährlich macht, sind dabei sehr vielfältig: Von man würde krank werden und möglicherweise sterben bis hin zu die Regierung will damit die Gedanken der Bevölkerung manipulieren. Bei derartigen Vorstellungen ist es wohl nicht weiter erwähnenswert, dass die Anhänger dieser Theorien das Kontaktverbot vor allem bei den vergangenen Veranstaltungen weitesgehend nicht beachten und auch sichtlich nicht viel vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung halten.

Recht auf selbstbestimmtes Sterben an COVID-19

Eine der Forderungen, die auch mehrfach bei den Kundgebungen ausgerufen wurde, war die „Wahrung bzw. Wiedereinsetzung unserer Grundrechte“. Die Anhänger sehen sich in ihren Grundrechten beraubt, auch in ihrem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Mit fragwürdigen Argumentationen wurde dieses Thema auch bei der Kundgebung in Schwerin abgehandelt. Es wurde ein Schreiben von einer Gruppe älterer Menschen vorgelesen, die sich in ihrem Recht auf selbstbestimmtes Sterben verletzt fühlen. Man solle sie, wenn die Zeit gekommen sei, sterben lassen, ob mit oder ohne Corona-Virus. Fraglich ist, ob es sich bei derartigen Ausführungen nicht um eine innere Todessehnsucht des einzelnen Menschen handelt, bei der das Virus als Sterbehilfe fungieren soll, oder dies eine objektiv geführte Diskussion zum Thema selbstbestimmtes Dasein ist. Völlig ausgeblendet wird hierbei auch, dass ein Erkrankter weitere Menschen mit dem hoch ansteckenden Virus infizieren könnte und ihn damit möglicherweise lebensbedrohlich gefährdet: In der Regel hat ein Großteil der Bevölkerung das Bedürfnis zu Leben und nicht an COVID-19 zu sterben.

Die übergeordnete Verschwörung

Generell wird innerhalb der Corona-Querfront die komplette Pandemie als von den Regierenden oder höheren Macht absichtlich herbeigeführte Katastrophe angesehen, um so eine sich anbahnende weltweite Finanzkrise zu überspielen. Die Corona-Szene selbst stellt sich als diejenigen dar, die die Wahrheit kennen würden, diese allerdings nicht aussprechen dürfen. Natürlich wisse die Regierung darüber Bescheid, müsse dies aber verschweigen, um einen 3. Weltkrieg zu verhindern. „Feli“ schreibt dazu: „9/11 war der amerikanische Probelauf, CoVid19 das weltweit inzinierte Meisterstück.“ Damit reiht sich die Corona-Pandemie in die klassischen Verschwörungstheorien der letzten Jahrzehnte ein.

Feindbilder der Corona-Querfrontler

In Anbetracht dessen, dass die Corona-Querfront-Anhänger glaube, es sei eine Verschwörung der Regierung, ist es nicht verwunderlich, dass eines der Hauptfeindbilder die Regierung und mit ihr mal wieder Angela Merkel ist. Mehrfach wurde auch bei der Kundgebung am vergangenen Wochenende die Forderung auf Abschaffung des aktuellen Systems, sowohl Regierung als auch Gesundheitssystem, verkündet. Vor allem durch die Rechten innerhalb dieser Gruppierung wird die Anti-Merkel-Kampagne befeuert, die bereits um 2015 zu den Pegida-Bewegungen dominant war.
Seriöse Institute, wie das Robert-Koch-Institut, Experten, wie Christian Drosten der Leiter der Virologie in der Charit´e Berlin, oder die seriösen Medien werden laut den Corona-Querfrontler von der Regierung manipuliert und gesteuert. Dementsprechend zählen diese auch zu ihren Feindbilder. Die aktuellen Statistiken und Forschungsberichte der seiösen Institute und Medien werden bei all ihren Theorien ignoriert. In ihren Redebeiträgen und Artikeln schaffen sie sich eigene Zahlen und Statistiken, die ihre Verschwörungstheorien unterstützen. Wie diese ermittelt wurden, ist zumeist unklar.
Vor allem der Hass gegen die Presse nimmt bei einigen Corona-Querfront-Veranstaltungen bereits jetzt schon ähnliche Ausmaße wie bei Pegida-Aufmärschen an. Es werden Kamerateams bepöbelt, angegriffen und in Redebeiträgen gegen die Presse gehetzt. Eine Rednerin in Schwerin behauptet sogar eine Verschwörung der Medien erkannt zu haben: Man wolle die Proteste öffentlich denunzieren, um zu verhindern, dass sie die Wahrheit sagen würden.

Polizei in Schockstarre?

Trotz der zunehmenden Dynamik und der Bestrebungen der Corona-Querfront die Regierenden und das System abzulösen, scheint die Polizei in Westmecklenburg die Lage dazu teilweise relativ entspannt zu sehen. Bei der ersten einer derartigen Veranstaltung am 01. Mai in Schwerin, waren gerade einmal offensichtlich 12 Polizeibeamte vor Ort, die versucht hatten 600 zum Teil betrunkenen Kundgebungsteilnehmer zu koordinieren. Belächelt wurde der Versuch einer einzelnen Polizeibeamtin die Massen auseinander zu drängen, sodass der verordnete Mindestabstand eingehalten wird.
Bei der unangemeldeten Veranstaltung am vergangenen Montag am Schweriner Pfaffenteich zu der neben Anhänger aus den Corona-Gruppen auch Teile der damaligen MVgida und NPD aufgerufen hatten, sah das schon anders aus. Nachdem sich rund 100 Teilnehmer am Südufer versammelt hatten, unter ihnen eine Gruppe MVgida-Anhänger um Antje Mentzel, forderte die Polizei mehrfach die Teilnehmer auf, einen Versammlungsleiter zu benennen, um die Auflagen und Verordnungen für die Veranstaltung festzulegen. Als dieser Aufforderung nicht nachgegangen wurde, löste die Polizei konsequent auf.

In Wismar lässt die Polizei die Corona-Querfront bislang auch ohne Anmeldungen ihre Versammlungen durchführen. Bei der unangemeldeten Demonstration der „Querdenker 2020“ am 09. Mai in Wismar schaute die Polizei zwar kurz am Treffpunkt der rund 85 Teilnehmer vorbei, fuhr dann allerdings auch ohne auszusteigen wieder davon. Die unangemeldete Demonstration ging ohne Polizeibegleitung durch die Innenstadt. Auch als die „Querdenker“ am Hafen entlang des viel befahrenen Altstadtring im Spalier standen und klatschten, was einige Verkehrsteilnehmer sichtlich irritierten, war niemand von den Behörden vor Ort.
Eine weitere Veranstaltung organisierten Corona-Verordnungs-Gegner am vergangenen Montag auf dem Markt in Wismar, zu der sich auch Teile der kameradschaftsähnlichen Struktur „Dorfgemeinschaft Jamel“, rechte Kampfsportler und rechte Rocker einfanden. Auch diese war nicht angemeldet. Die Polizei war zwar vor Ort, schaute allerdings nur zu. Bei all diesen Veranstaltungen wurde das Kontaktverbot lediglich kurzzeitig bis gar nicht eingehalten. Trotzdem gab es bislang keine Konsequenzen.

Gemeinsamer Kampf für das übergeordnete Ziel

Das Schubladendenken in Links, Rechts und bürgerliche Mitte, was bis heute noch in vielen Köpfen, auch von Politikern, fest verankert ist, funktioniert bei der Querfront-Strategie nicht mehr. Die Konstellation der Corona-Querfront zeigt mal wieder, dass antisemitische, völkisch-nationalistisch und verschwörungstheoretische Meinungen längst auch in der Mitte der Gesellschaft ihren festen Platz haben. Teile der sogenannten bürgerlichen Mitte diskutieren gemeinsam mit Neonazis sowie Verschwörungstheoretikern und kämpfen in den Corona-Querdenker-Gruppen für das gemeinsame übergeordnete Ziel, das aktuelle System abzuschaffen. Es ist an der Zeit, dass auch Politiker und Behörden diese neue Gruppierung Ernst nehmen.